"Eine Präsentation meines Lebens" (2024)

Ein grauer Tag im Norden Berlins. Der Sommer ist vorbei und aus der bunten Party-Metropole wird allmählich wieder eine November-graue Mörtelwüste. Draußen flanieren Hauptstädter, die sich mit der Ankunft des Winters abfinden müssen, drinnen sitzt Selima Taibi alias "Mogli" und trinkt Heißgetränke auf dem Flohmarkt-Gestühl eines Cafés mit unverputzten Backsteinwänden. Die Musikerin ist samt neuem Album kürzlich in die Stadt gezogen, in der Künstler-Inflation herrscht. Musik, Drehbuch, Film - mit Anfang zwanzig will Selima ein Kreativ-Multi sein. Aber heute sprechen wir erstmal über Musik.

Du bist gerade 21 Jahre alt geworden. Viele Menschen in deinem Alter haben noch keinen Plan, wo es in ihrem Leben hingeht. Du hast schon ein ganzes Album produziert. Bleibt es bei der Musik?

Es bleibt auf jeden Fall bei der Musik. Aber das heißt ja nicht, dass ich nur das machen kann. Musik ist immer Teil von meinem Tag, egal ob professionell oder unprofessionell und ich werde immer Musik machen. Ich interessiere mich aber auch für andere Sachen.

Machst du noch andere Kunst?

Ich schreibe gerade ein Drehbuch. Und nächstes Jahr wird es einen Spielfilm geben. Da geht es um Musik und ich spiele selbst mit. Es hat also auch mit Musik zu tun.

Wie bist du denn zur Musik gekommen?

Ich habe schon immer Musik gemacht. Meine Mutter hat Musik studiert und ich wurde früh damit berieselt. Ja, und mir wurde erzählt, dass ich schon gesungen habe, bevor ich sprechen konnte.

Wie sah denn das aus?

Ich hab' als Baby immer mitgesummt, wenn Musik lief.

Und irgendwann kam die Gesangsausbildung?

Nee, ich bin mit elf an die Oper gegangen.

Erstaunlich.

Ich bin nach der Schule mit der Straßenbahn zur Oper gefahren, weil ich gehört habe, dass sie Leute vorsingen lassen. Dann haben sie mich genommen und ich bin abends zu meiner Mutter und hab gesagt: "Mama, ich sing' an der Oper".

Und als dann die Schule irgendwann vorbei war, hast du dich voll draufgestürzt?

Ja, ich habe nach dem Abi gesagt: Ich mach' jetzt Musik. Am Anfang war natürlich noch nicht das Geld da, um zu sagen, ich produziere jetzt ein Album. Dann habe ich ein Crowdfunding-Projekt gestartet und 25.000 Euro eingenommen und damit das Album produziert.

Das gibt einem sicherlich mehr künstlerische Freiheit als ein großes Label, das für einen zahlt, oder?

Ja, ich entscheide, was für Musik ich mache und welches Image ich habe. Ich will auch gar kein Image haben. Ich bin so wie ich bin und mag mir das auch nicht von einem Label vorschreiben lassen.

Sprechen wir mal über dein Album.

Ich hab dir auch eins mitgebracht.

Das ist ja nett. Ich find' das klingt irgendwie wie eine Mischung aus Tina Dico und Adele. Klingt mal euphorisch, mal melancholisch. Magst du persönlich lieber die traurige oder die lebendige Musik?

Naja, das ist ja mein erstes Album und ist eigentlich mehr so eine Präsentation meines Lebens und meiner Entwicklung. Da sind sehr viele unterschiedliche Sachen drauf, deswegen ist es auch so vielfältig. Auf dem Album sind ganz viele verschiedene Gefühle verarbeitet, ich glaube das hört man auch. Aber das macht auch Sinn. Ich hab' mit 18 angefangen, an den Liedern zu schreiben, bin jetzt 21. In den drei Jahren passiert ja viel. Aber ich höre lieber traurige Musik. Wenn ich ein Album anmache, ist das traurigste, ruhigste Stück meistens mein Lieblingslied.

Das traurigste Stück, das du kennst, ist von …

Puh. Ich kenne viele traurige Lieder. Aber wahrscheinlich eins von Mumford and Sons. Und bei dir?

Irgendwas von Beck.

Der Name sagt mir was, aber ich hab' die Musik noch nie gehört.

Also macht Melancholie kreativ?

Es ist auf jeden Fall schwer, kreativ zu sein, wenn gerade alles gut läuft. Ich brauche Reibung, um kreativ zu sein. Jetzt gerade geht’s mir zum Beispiel ziemlich gut und es passiert deswegen auch nicht so viel.

Du hast ja auch gerade erst ein Album veröffentlicht.

Aber es soll ja auch das nächste kommen.

Wird das auch über Crowdfunding finanziert?

Ich denke nicht. Der Umzug nach Berlin hat für mich auf jeden Fall was gebracht, hier passiert viel. Ich schreibe mit ganz vielen verschiedenen Produzenten und experimentiere viel herum mit Berliner Künstlern und dann gucke ich mal, was aufs nächste Album kommt.

Und das ging in deiner Heimatstadt Frankfurt nicht so gut?

In Frankfurt gibt's schon auch tolle Künstler, aber die meisten gehen doch irgendwann weg.

Nach Berlin.

Ja. Das ist irgendwie wirklich so. Und das hat auch Nachteile. Mir wurde oft gesagt, dass es in Berlin ein Netzwerk aus nur etwa 100 Künstlern gibt, in das man nur schwer reinkommt. Da wird mal einer ausgetauscht, aber normalerweise bleibt das gleich. Ich hab' Glück gehabt, dass ich so schnell Anschluss gefunden habe. Wenn es so viel Kreativität auf einem Haufen gibt, bleiben auch mehr Musiker auf der Strecke.

Dabei hat man eigentlich das Gefühl, dass Berlin vor Musikern nur so überquillt. Hier ist Live-Musik ja beispielsweise gewissermaßen allgegenwärtig. In meiner Heimatstadt Dortmund sind Live-Auftritte noch was Besonderes.

Nee, das ist hier nichts Besonderes. Was Besonderes zu sein in Berlin kann man sich auch gleich abschminken, das funktioniert eh nicht. Ist aber auch toll, dass man immer die Möglichkeit hat, Musik live zu genießen!

Auf deiner Internetseite steht, du reist gerne.

Ja sehr.

Wohin und wie?

Also ich bin schon immer viel gereist. Damals, als ich bei der Oper war, hab ich ja schon mein eigenes Geld verdient und hab' es dann immer so gemacht, dass ich Geld verdient hab, weggefahren bin, Pleite war, wieder Geld verdient habe und wieder weggefahren bin. Ich war in Australien und bin mit einem Campingbus die Ostküste hochgefahren, war in Neuseeland, Kambodscha, Malaysia und Singapur. Die Ideen für das Album sind auch komplett auf Reisen entstanden, bis auf einen Song. Ich finde, wenn man weiter weg ist von zuhause, beginnt man zu reflektieren und es kommen viele Ideen.

Auf Reisen ist man auf jeden Fall nie nur geografisch weit weg.

Genau, es ist der Kopf. Und Reisen und Musik, das gehört für mich einfach zusammen. Wenn ich mal länger in Deutschland bin und ich bin gerne hier, dann muss ich wieder kurz weg. Also mindestens ein bis zwei Monate.

Fernwehgetrieben?

Ja, aber das ist ja das Schöne an dem Beruf, dass es geht.

Wenn die Texte alle auf Reisen entstehen, ist es ja eigentlich auch eine berufliche Verpflichtung.

Vielleicht kann ich es von der Steuer absetzen.

Bei "Bird" singst du davon, dass du jemanden liebst, aber dass du auch jederzeit weg sein kannst. Wie ist das gemeint?

Es geht darum, dass, wenn zwei Menschen länger zusammen sind, sie, je sicherer sie sich miteinander fühlen, umso mehr als gegeben ansehen. Es geht darum, dass man sich liebt und alles gut ist und man weiß, dass der andere eh da ist. Dann beginnt man irgendwann, unaufmerksam zu werden.

Glaubst du, das kann auch mit der Kunst passieren, dass man nachlässig in der Beziehung zu ihr wird?

Auf jeden Fall. Ich glaube aber auch, dass jeder Künstler das braucht, dass er mal Abstand bekommt, von dem was er tut. Das ist übrigens ein Grund, warum ich nicht Musik studieren möchte. Nicht, weil ich sage, das bringt nichts. Für mich ist es so, ich fülle meinen Tag total gerne mit Musik und ich möchte nicht, dass nur ein Tag dabei ist, wo ich sage, ich habe keinen Bock aufzustehen und Musik zu machen.

Mit Mogli sprach Benjamin Konietzny

Hier können Sie das Album "Bird" von Mogli kaufen.

"Eine Präsentation meines Lebens" (2024)

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